Zweiter Weltkrieg: Zeitzeuge erinnert sich an "Nacht des Grauens"

"Zeitzeugen" erinnern sich : Brandbomben und Pimpfe

Auch für Kurt Paulussen (80) aus Mönchengladbach sind - wie für viele Menschen seines Alters - die meisten Kindheitserinnerungen von den Ereignissen während des zweiten Weltkriegs geprägt. Für die unsere Serie "Zeitzeugen" erinnert er sich.

"Anders als viele andere hatte ich trotz des Krieges eine recht behütete Kindheit — das haben wir meinem Vater zu verdanken", erinnert sich Kurt Paulussen, der 1934 in Mönchengladbach als einer von zwei Söhnen geboren wurde. Er stammt aus einer alteingesessenen Mönchengladbacher Kaufmannsfamilie. Seine Großeltern mütterlicherseits hatten seit 1835 ein Bettengeschäft in der Wilhelmstraße, seinem Vater gehörte das Teppich- und Gardinengeschäft "Paulussen und Anstötz" auf der Hindenburgstraße. "Vor dem Krieg war unser Laden quasi das führende Teppichhaus in Mönchengladbach, und wir lebten in wirtschaftlich guten Verhältnissen — wir hatten Hausangestellte und für meinen Bruder und mich standen immer Kindermädchen zur Verfügung", sagt der Rentner. Und auch während des Krieges litt die Familie — anders als viele andere Menschen — nie Hunger.

Tauschgeschäfte bewahrten die Familie vor dem Hunger

"Das haben wir aber auch der Cleverness meines Vaters zu verdanken gehabt", betont Kurt Paulussen. Der habe schon während des ersten Weltkriegs mit seinem eigenen Vater intensive Tauschgeschäfte gemacht und so auch später immer Wege gefunden, um an Nahrungsmittel zu gelangen. Wie auch Kurt Paulussen selbst in späteren Jahren kam ihm dabei zugute, dass er mit den Bauern auf Platt kommunizieren konnte.
Kurt Paulussen gehörte eine Weile zu den "Pimpfen", der Jugendorganisation der Hitler-Jugend für Jungen zwischen zehn und 14 Jahren. "Daran erinnere ich mich eigentlich gerne, denn wir machten dort genau das, was Jungs in dem Alter nun mal gerne machen: wir lernten, uns anzupirschen und alle möglichen Überlebens- und Kampftricks", sagt der Mönchengladbacher.

Allerdings konnte sein Vater aufgrund seiner guten finanziellen Lage immer wieder dafür sorgen, dass seine Familie aus der Stadt wegkam, um in ländlichen Gebieten sicher vor den Bombenangriffen zu leben. Bereits 1943 wohnte Kurt mit seinem Bruder und seiner Mutter so für ein Jahr in Bad Herrenalb im Schwarzwald und ging dort zur Schule.

"Die berühmte "Nacht des Grauens" am 31. August 1943 erlebte ich so glücklicherweise nicht in Mönchengladbach mit — nur mein Vater, der aufgrund einer Herzkrankheit nicht als Soldat eingezogen wurde, und mein früher zurückgekehrter Bruder waren vor Ort.
Unser Geschäft brannte damals komplett aus, das Wohn- und Geschäftshaus meiner Großeltern in der Wilhelmstraße wurde völlig zerstört, und meine Großeltern und meine schwangere Tante mit ihren zwei kleinen Kindern fanden dort den Tod", erzählt Kurt Paulussen von den schrecklichen Ereignissen in jener Nacht, bei der in Gladbach und Rheydt mehr als 400 Menschen starben.

"Die Stadt war nicht wiederzuerkennen"

Die Stadt sei bei seiner Rückkehr nach diesem Angriff nicht wiederzuerkennen, das bisherige Wohn- und Geschäftshaus nicht mehr bewohnbar gewesen. Bei einem späteren Bombenangriff wurde dann noch die Familie seiner Tante verschüttet. Dabei starben die beiden jugendlichen Cousins von Kurt Paulussen. Sein Vater habe auf dem zweihundert Jahre alten Bauernhof der Großeltern väterlicherseits in Pongs, wo die Familie danach lebte, dann direkt einen Luftschutzbunker mit dicksten Mauern und einem Gang in den Garten gebaut.

  • Sportliche Leistung und ein Statement in
    Applaus, Applaus, Applaus! : „Special Flippers“ beim 24-h-Schwimmen erfolgreich
  • Oberbürgermeister Felix Heinrichs (r.) weihte die
    Abschließbare Fahrradboxen in der Albertusstraße und der Friedrich-Ebert-Straße : Ein sicherer Ort für dein Fahrrad
  • Die neuen wineBANKer vom Niederrhein (v.
    Treffpunkt für Wein-Liebhaber im Haus Erholung eröffnet im Herbst/Winter : Die neuen wineBANKer

"Er sagte damals, das würde uns so nicht nochmal passieren, er wollte seine Familie noch besser schützen", sagt Kurt Paulussen nachdenklich. 1944 bis zum Kriegsende war er als Junge dann wieder außerhalb der Stadt, diesmal in Bad Pyrmont. Dort habe er mit Begeisterung selbst Brandbomben aus "Unkraut-Ex", Salpetersäure und Löschpapier gebastelt: "Damit habe ich meine Mutter damals fast wahnsinnig gemacht," betont er verschmitzt.

Er erinnert sich noch, wie dann die Amerikaner einmarschierten und die von der Wehrmacht zuvor im Ort gefangen gehaltenen Russen befreiten. "Wir waren alle auf einem Hügel im Wald und sahen die Panzer kommen — die haben uns auch gesehen und zweimal in den Wald geschossen. Natürlich hatten wir da alle eine riesengroße Angst. Wir haben dann zusammen ein großes weißes Laken hochgehalten, woraufhin der Beschuss aufhörte", erzählt der Senior.

Und es sei ein Glück gewesen, dass seine Mutter immer sehr wohlwollend zu einer Weißrussin namens Dusja gewesen sei, die vorher in den Zimmern der Familie saubergemacht habe. "Meine Mutter gab ihr immer etwas zu Essen, kleine Geschenke und auch mal Geld — und wir Kinder haben mit ihr deutsche und russische Volkslieder gesungen", sagt er. Als dann die Russen befreit worden waren, hätten sie ihren Zorn auf die Deutschen an den Einwohnern ausgelassen. "Dusja hat uns geschützt und damit gerettet, dass sie auf Russisch aus dem Fenster rief, dass hier keine deutschen Feinde leben würden — daraufhin sind sie in unser Haus nicht reingekommen", sagt er.

An die Amerikaner erinnert er sich ebenfalls gut: "Mein erstes englisches Wort war natürlich "Chewing gum", denn sie versorgten gerade uns Kinder mit Süßigkeiten," sagt er. Die Rückfahrt nach Mönchengladbach von Bad Pyrmont hat er in chaotischer Erinnerung. "Den ersten Teil der Reise machten wir auf Weinkisten sitzend im Transporter eines Freundes der Familie — wenn wir unterwegs angehalten wurden, hat dieser Freund die Besatzer mit Wein bestochen, so dass wir es bis Grimlinghausen im Wagen geschafft haben. Dort mussten wir in die sogenannt "Entlausung", und als wir herauskamen, war von dem Transporter nicht mehr viel übrig — wir sind dann mit einem Bollerwagen bis nach Hause marschiert", erzählt er.