Anders sein ist großartig

Lehrerin Miriam Schreiber ist alleinerziehende und voll berufstätige Mutter einer Tochter und eines fünfzehnjährigen Sohns, bei dem vor zwei Jahren das Asperger-Autismus-Syndrom diagnostiziert wurde – ihr Familienleben und die mit der Diagnose verbundenen Herausforderungen des alltäglichen Lebens beschreibt sie in bislang zwei Büchern.

„Für mich war die Diagnose „Asperger Autismus“ kein Schock, sondern eine Erleichterung – natürlich waren mir viele Dinge merkwürdig vorgekommen, hatte ich eine Ahnung, dass irgendwas anders war. Endlich hatte ich eine Antwort und das Gefühl, wir können daran arbeiten“, erzählt Miriam Schreiber (42). Sie habe dann viel gelesen, und wiederum vieles davon habe ihr regelrecht Angst gemacht. Schon da beschloss sie, ihre eigenen Erfahrungen aufzuschreiben, um damit anderen Betroffenen Mut zu machen. Sie habe zeigen wollen, dass Autismus nichts Schlimmes sei, sondern einfach eine andere Facette des Lebens.

Sie bezeichnet ihren Beruf als Englisch- und Politiklehrerin an einer Realschule als ihren „Traumberuf“, denn sie liebe auch die Arbeit mit den „schwierigen“ Schülern. „Anders sein ist nichts Schlimmes, sondern etwas Großartiges“ schreibt sie in ihrem Buch „Welche Remoulade gehört zu den Nudeln?“, das im März erschienen ist. Und sie betont: „Wer legt denn fest, was die Regel, was richtig oder falsch ist oder welchen Blickwinkel wir einnehmen müssen? Es gibt nicht den Regelschüler, wie es auch nicht das Regelkind gibt.“

Für Joshua (sie hat ihre Kinder zu deren Schutz in ihren Büchern umbenannt) ist seine Mama seine engste Vertraute. „Er bettet mich ein in seine Welt und erklärt sie mir – das ist großartig, denn es hilft mir, besser auf ihn eingehen zu können“, erzählt die Autorin. Auch für Joshua sei die Diagnose erleichternd gewesen, erklärte sie ihm doch selbst, warum er oft anders war. Denn für Autisten sei es schwieriger mit uns anderen umzugehen, als es für uns ist, mit ihnen umzugehen, betont Miriam Schreiber. Joshua selbst hat ihr dazu gesagt: „Weißt Du eigentlich, wie anstrengend es ist, ständig herausfinden zu müssen, was die Menschen von einem wollen?“

Ein Autist nimmt beispielsweise in einem Raum voller Menschen ALLE Gespräche häufig gleichzeitig war, kann nicht nur ein Gespräch herausfiltern. Und soziale Konventionen sind für einen Autisten oft ein nicht verständliches Konstrukt. „Das führte auch bei Joshua oft zu Missverständnissen, wenn er im Klassenraum bei lebhafteren Diskussionen den Kopf auf den Tisch legte und der Lehrer das als Unterrichtsverweigerung verstanden hat, oder Joshua anderen Leuten nicht die Hand gibt, weil diese Handlung für ihn keinen Sinn macht“, sagt Schreiber. Dieses ständige Hinterfragen der Sinnhaftigkeit, genauso wie sich bedingungslos an einmal aufgestellte Regeln zu halten oder alles wörtlich zu nehmen, Freundschaften als pure Anstrengung zu empfinden und Ironie kaum zu verstehen seien unter anderem die Herausforderungen im Alltag mit einem Autisten. „Oft fragt Joshua mich, wie er in bestimmten Situationen ’richtig’ reagiere – das üben wir dann, denn natürlich möchte er nicht ständig auffallen. Er hat einfach eine ganz andere Wahrnehmung der Welt“, erklärt die Mutter. Einfühlsam, amüsant und mit viel Humor beschreibt Miriam Schreiber in ihren Büchern das häufig chaotische, aber dennoch strukturierte Alltagsleben mit ihrem autistischen Sohn, der extrovertierten und quirligen jüngeren Tochter, zwei Kaninchen und Hund Bowie. Zudem gibt sie Hilfestellungen und Tipps für betroffene Eltern. Sie selbst ist beim Bummeln vor einiger Zeit auf eine Postkarte gestoßen mit der Aufschrift: „Das, was Dich so anders macht, ist das, was Dich so einzigartig macht!“ „Da sind mir die Tränen gekommen, weil ich meinem Sohn nichts Passenderes sagen könnte“, sagt sie lächelnd.

(Report Anzeigenblatt)