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Serie "Zeitzeugen": Bombenalarm, Hunger und Einsamkeit

Serie "Zeitzeugen" : Bombenalarm, Hunger und Einsamkeit

Karl Reichenberg stammt aus Rheydt — seine Kindheit wurde von Bombenalarm, Hunger und vor allem dem frühen Verlust der Eltern und dem Aufwachsen im Waisenhaus geprägt. Für die Extra-Tipp-Serie "Zeitzeugen" erinnert er sich an den Zweiten Weltkrieg.

Als drittes von sechs Kindern wurde Karl Reichenberg am 17. Juni 1937 während der Zeit des Nationalsozialismus geboren. Damals wohnte seine Familie "schräg gegenüber von Josef Goebbels" in der Friedrich-Ebert-Straße, die damals noch Horst- Wessel- Straße hieß. Die ständigen Bombenalarme und die Aufenthalte im Luftschutzkeller der in der Nähe liegenden Gaststätte Krapohl während seiner frühen Kinderzeit waren für den kleinen Karl völlig normal. "Angst hatte ich eigentlich nie, wir kannten es ja nicht anders. Einmal waren wir sogar verschüttet worden, konnten uns aber durch den Luftschutzschacht befreien", erinnert er sich. Sein Vater war als Soldat in der Ukraine, wo er seit der Kesselschlacht von Tscherkassy als vermisst galt.

So war die Mutter mit fünf Kindern früh auf sich allein gestellt und wurde, als die Bombenangriffe 1943 auf Mönchengladbach zunahmen, in die kleine Stadt Klötzel bei Magdeburg evakuiert. "Wir brauchten dorthin drei Tage — es war mitten im kältesten Winter, und wir fuhren auf offenen Güterzügen dorthin", sagt Karl Reichenberg. Aber auch dort war das Leben zwei Jahre lang von Hunger und Armut geprägt.

Der Selbstmord Hitlers war für die Mutter dann das Signal, möglichst rasch wieder Richtung Heimat zurück zu flüchten, denn auch sie fürchtete die einmarschierenden Russen.

"Unsere Rückreise war wieder genauso anstrengend, wie der Hinweg — und kaum waren wir zu Hause, hat meine Mutter dann noch unseren geliebten Hund Peterle für eine Schüssel guter Butter weggegeben", weiß Karl Reichenberg noch.

Nur sechs Monate nach Kriegsende erlitt die Mutter eine Blutvergiftung, bekam dann Typhus und verstarb. "Mit acht Jahren kam ich also gemeinsam mit meinen Geschwistern ins Waisenhaus in der Waisenhausstraße, die damals noch Sudetenstraße hieß — ein Bruder kam als Pflegekind unter, der jüngste war noch ein Baby und wurde adoptiert", erzählt der Rheydter. Das von Nonnen geführte Waisenhaus wurde streng geführt, der Junge musste viel Härte erfahren. "Wir wurden sehr viel geschlagen. Und nur weil ich beispielsweise beim Essen sprach, musste ich in den kalten Wintermonaten drei Nächte in einer Besenkammer auf dem nackten Boden schlafen", erinnert sich Karl Reichenberg. Einmal sei er sogar so mit dem Handfeger auf den Kopf geschlagen worden, dass er noch heute eine tiefe Narbe davon auf der Schläfe hat.

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Er habe sich nachts oft in den Schlaf geweint. "Nur die Mutter Oberin ist uns auch einmal nett begegnet, hat uns hin und wieder getröstet", ist Karl Reichenberg noch heute fassungslos. Diese Art des Aufwachsens habe ihn geprägt, er habe viele seelische Schäden erlitten, sei noch lange mehr als verstört gewesen. "Natürlich vermisste ich meine Mutter sehr, sie hatte uns Kinder stets verteidigt und beschützt. Schön waren im Waisenhaus wirklich nur die Weihnachtsfeiern mit einem großen Tannenbaum und das sommerliche Spielen im Garten— und ich war dort im Kirchenchor, das hat mir damals auch Spaß gemacht", sagt er. Sechs Jahre verbrachte er im Heim, weil der Vater aus dem Krieg nicht zurückkehrte, konnte er es erst mit 14 Jahren verlassen und eine Lehre beginnen. "Für mich waren die Kriegszeiten zwar hart, weil wir viel Hunger hatten und häufig auch froren, aber insgesamt erinnere ich mich positiver daran, als an die Waisenhauszeit danach. Denn durch meine Mutter und den Familienzusammenhalt mit meinen Geschwistern fühlte ich mich natürlich selbst zwischen Bomben und Hunger viel geborgener, als jemals hinterher", sagt er nachdenklich.